Was bedeutet “Big Data Literacy”?
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In den bisherigen Kapiteln wurde beschrieben, was es bedeutet, in einer Datengesellschaft zu leben, wie sich die digitale Transformation als ein Wechselwirkungsdreieck darstellt, und was der Begriff Big Data bezeichnet. Einen kritischen Blick auf die Beziehung zwischen Big Data und wirtschaftlichen Verwertungsinteressen warf das vorangegangene Kapitel zum “Überwachungskapitalismus”.
1. Bildungsziel: Selbstbestimmung in der digitalen Welt
Wenn der Umgang mit digitalen Daten in unserer Welt unvermeidbar ist und dieser zugleich vielfältige Konsequenzen für unsere Entscheidungen und Handlungen hat, stellt sich die Frage, welche Lern- und Bildungsaspekte damit verbunden sind. Schließlich geht es um ein selbstbestimmtes und souveränes Leben in einer datafizierten Welt.
Als begrifflicher Rahmen wird hier Big Data Literacy vorgeschlagen. Dieser bezeichnet ein Bewusstsein und Verständnis davon, wie Daten gesammelt, ausgewertet und verwendet werden und welche gesellschaftlichen Auswirkungen algorithmenbasierte Datensysteme haben. Als eine kritische Kompetenz hinterfragt dieses Konzept die zunehmende Datafizierung und Algorithmisierung unserer Gesellschaft. Im Sinne einer digitalen Aufklärung fordert das Konzept einen mündigen Umgang mit Digitaltechnologien ein und berücksichtigt die politischen Implikationen.
Nicht nur “Big Data Literacy”: Im Verlauf der pädagogischen und medienwissenschaftlichen Diskussionen über wichtige Kompetenzen bzw. “Literacies” im englischsprachigen Raum, entstanden eine ganze Reihe von Begriffen und Konzepten. Auf einige dieser Begriffe mit Bezug auf Daten und Big Data soll an dieser Stelle hingewiesen werden:
- Data Literacy – Die Fähigkeit, Daten zu verstehen und aktiv und konstruktiv zu nutzen, wie sie besonders im Zusammenhang mit digitalen Umgebungen und dem Internet notwendig wird.
- Data Infrastructure Literacy – Fähigkeit, im Umgang mit Daten nicht nur auf technische oder numerische Aspekte zu achten, sondern auch die an der Erzeugung und Verarbeitung von Daten beteiligten Machtpositionen und Infrastrukturen kritisch zu reflektieren.
- Creative Data Literacy – Zugang und Fähigkeit, ohne großes technisches Vorwissen Daten lesen, analysieren und bearbeiten zu können. Zur Erlangung dieser Fähigkeit können nach Catherine D’Ignazio spielerische, niedrigschwellige und zielgruppengerechte Methoden eingesetzt werden, um den Einzelnen im Umgang mit Daten handlungsorientiert zu ermächtigen.
- Critical (Big) Data Literacy – Das Bewusstsein und Verständnis davon, wie Daten gesammelt und verwendet werden, welche langfristigen Auswirkungen Datensysteme auf unsere Gesellschaft haben und welche Risiken und Problematiken mit dieser ‚Datafizierung‘ einhergehen. Außerdem ein mündiger Umgang mit digitalen Technologien und dem Internet.
2. Kritik und Grenzen
Frage, wie tief ein grundlegendes Verständnis über Big Data reichen muss, damit informierte Entscheidungen über diese algorithmischen Systeme möglich sind. Mit Blick auf Big Data Literacy und konkrete Anwendungsfelder von Big Data Analytics Systemen und Automatischen Entscheidungssystemen lassen sich kritische Fragen stellen, wie beispielsweise:
- Woher kommen die gesammelten Daten und welche Qualität haben sie?
- Welche Daten werden einbezogen, welche nicht?
- Kann das Zustandekommen des algorithmisch erzeugten Ergebnisses erklärt und begründet werden?
- Ist der Algorithmus fair oder benachteiligt er bestimmte Personengruppen?
- Welchen Zweck hat das System?
- Wer hat mit welcher Absicht diesen Algorithmus entwickelt?
Die umfassende Beantwortung dieser und weiterer Fragen kann möglicherweise für den Einzelnen nicht zufriedenstellend gelingen, weil die dazu notwendigen Hintergrundinformationen fehlen oder das informatische Fachwissen nicht vorhanden ist. Derartige Fragen sind auch Gegenstand einer professionellen Technologiefolgenbewertung im Dialog mit den Systementwicklern und -verantwortlichen. In ihrer allgemeinen Ausrichtung tragen sie auch für Bürger*innen dazu bei, zu einer begründeten Position und selbstbestimmten Haltung gegenüber diesen datengetriebenen Technologien zu finden.
The Algorithm Literacy Project – Ziel des Projekts ist die Sensibilisierung und Aufklärung von Kindern über das Vorhandensein von Algorithmen und wie sie unsere digitalen Erfahrungen beeinflussen.
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3. Konzeptuelle Rahmen
Im Zusammenhang mit der (medien-)pädagogischen Aufarbeitung von digitalen Daten und Big Data gibt es einige konzeptuelle Rahmen:
- Der europäische Rahmenplan DigCompEDU für digitale Kompetenz von Lehrenden fasst 22 Kompetenzen in sechs Bereichen zusammen. Der Fokus liegt dabei nicht auf technischen Kompetenzen, vielmehr ist es ein Rahmen, der Anregungen gibt, digitale Technologie für die Innovation in Bildung und Lehre zu nutzen.
- Das Kompetenzmodell »Kompetenzen in der digitalen Welt« der Kultusministerkonferenz formuliert neue Anforderungen an schulisches Lernen und wird im Medienkompetenzrahmen NRW zusammengefasst.
- Gemeinsam mit zahlreichen Partnern hat der Stifterverband im Januar 2021 die Data-Literacy-Charta initiiert. Mit ihr wird ein gemeinsames Verständnis von Datenkompetenzen und deren Bedeutung für Bildungsprozesse formuliert. Die Charta steht im Einklang mit der Datenstrategie der Bundesregierung und mit der Berliner Erklärung zur Digitalen Gesellschaft.
- Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat die Herausforderungen des digitalen Wandels in der Bildung und der damit einhergehenden Transformation angenommen und im Dezember 2016 mit der Strategie “Bildung in der digitalen Welt” ein Handlungskonzept für die zukünftige Entwicklung der Bildung in Deutschland vorgelegt.
Tag:Big Data Literacy, bildung