Egalitäre Differenz und Meritokratie
Dieter Katzenberg bezieht sich in seinen Überlegungen auf das Prinzip der „Egalitären Differenz“. Was ist damit gemeint?
Da dieses Prinzip einen wichtigen Grundsatz von Inklusion bildet, der aber auch für Paradoxien und Dilemmata mitverantwortlich sein kann, wird dieses Prinzip hier noch einmal hervorgehoben und erklärt.
Egalitäre Differenz
Die Grundidee der Inklusion liegt in der Anerkennung, dass jede*r Einzelne*r das Bedürfnis hat, nicht nur erkannt, sondern auch anerkannt zu werden. Dies bedeutet, dass die Würdigung und Wertschätzung der Individualität jedes Individuums in seinem Sein im Zentrum stehen (Katzenbach, 2012). Dieses Prinzip der Inklusion fasst Annedore Prengel unter dem Begriff egalitäre Differenz zusammen (Prengel, 2001).
Gleichheitsvorstellungen waren lange exklusiv in dem Sinn, dass sie nur Menschen einbeziehen, die anhand bestimmter Kriterien, etwa dem Geschlecht, der sozialen Herkunft oder ethnischer Merkmale, als gleichartig eingestuft wurden (Prengel, 1995 zit. nach Dederich, 2020). Individuen, die nicht den definierten Kriterien entsprachen, wurden als “abweichend” betrachtet und erfuhren eine geringere Wertschätzung, was dazu führte, dass ihnen gleiche Rechte, Teilhabe und Chancen verwehrt blieben. In Kontrast dazu strebt die inklusive Pädagogik danach, “Gleichheitsvorstellungen ohne Ausgrenzungen” zu fördern und somit eine “Akzeptanz gleichwertiger Differenzen” zu verwirklichen (Prengel, 1995 zit. nach Dederich, 2020) .
Wie steht dieser Grundsatz im Verhältnis zu einem gesellschaftlichen und schulischen System, das sich dem Ideal der Meritokratie verpflichtet fühlt, in dem individuelle Leistung als die alleinige legitime Rechtfertigung für soziale Unterschiede betrachtet wird? Da Meritokratie in einem Spannungsverhältnis mit dem Prinzip der Egalitären Differenz steht, soll dies im Folgenden noch einmal genauer betrachtet werden.
Meritokratie
In einer Leistungsgesellschaft ist nicht die Geburt, sondern die individuelle Leistung für den sozialen Status maßgeblich, was auch als meritokratisches Modell bezeichnet wird (Prengel, 1995 zit. nach Dederich, 2020 ). Zwar empfinden wir dieses Modell als fairer (im Vergleich zum ständischen Modell), jedoch offenbaren sich auch hier paradoxe Kehrseiten: Das meritokratische System erzeugt bei den Wettbewerber*innen Ängste und Vereinsamung, hält für Verlierer*innen im Wettbewerb zu wenig Quellen von Anerkennung bereit und hinter den sichtbaren Leistungen der siegreichen Wenigen werden die unsichtbaren Beiträge Vieler dazu ignoriert (Honneth & Sutterlüty, 2011). Diese Effekte einer verstärkten Ökonomisierung werden auch im Handlungsfeld Schule sichtbar.
Egalitäre Differenz und Meritokratie – ein Widerspruch
Beruht die inklusive Pädagogik im Sinne Prengels (1995) auf der Idee, dass Unterschiede zwischen Kindern (seien sie körperlichen, intelligenzbezogenen, sozialen, kulturellen oder sonstigen Ursprungs) keiner Bewertung und damit keiner Hierarchisierung unterzogen werden, also egalitär sind, ist die Bewertung und Hierarchisierung von Unterschieden sowie die optimierende (d.h. notwendig auch selektive und exklusive) Arbeit an positiv bewerteten Eigenschaften und Kompetenzen geradezu das „Lebenselixier der Leistungsgesellschaft“. In Bildungseinrichtungen stehen sich daher das Ideal der Wertschätzung von Heterogenität und ein auf Leistungsoptimierung gerichtetes Netz von Lerndiagnostiken gegenüber (Dederich, 2019).
Verständnisüberprüfung