Leben in der Datengesellschaft
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Was zeichnet die neue digitale Medienwelt aus?
Mediennutzung in der U‑Bahn (Fotos: Peter Lawrence (li), Hugh Han (re) auf unsplash.com)
Wie wir uns verraten. Ein Datenexperiment der Süddeutschen Zeitung – Für eine Recherche der Süddeutschen Zeitung wurde der Datenverkehr eines Smartphones gemessen und ausgewertet: “Im Testzeitraum von 24 Stunden wurden 7305 Kontakte mit 636 verschiedenen Servern aufgezeichnet. 18 Prozent der Serverkontakte erfolgten in der Nacht; 64 Prozent, während der Bildschirm gesperrt war.”1
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Die Website “ANNA – das vernetzte Leben” lädt ein, anhand von alltäglichen Beispielen aus den Bereichen Wohnen, Einkaufen, Gesundheit und soziales Leben die Erfassung und Auswertung digitaler Daten nachzugehen – jetzt und in einer nahen Zukunft.
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2. Datenspuren
“Keine Daten zu erzeugen ist so unmöglich, wie kein Wasser zu nutzen”, sagt Andreas Weigend, ehemaliger Chefwissenschaftler bei Amazon und Autor des Buchs “Data for the People”.2 Täglich hinterlassen wir Datenspuren, mal ganz bewusst, wenn wir z. B. etwas in den sozialen Medien “posten”, oder auch unbewusst, wenn wir beispielsweise an einer Überwachungskamera vorbeilaufen oder unser Smartphone sich mit der nächsten Funkzelle automatisch verbindet und Daten austauscht.
Typen von Daten
Nimmt man den Ursprung der Daten als Merkmal, dann lassen sich vier Typen von Daten unterscheiden.3 Je nach Typus variiert der Grad an Bewusstheit:
bewusst eingegebene Daten: Social-Media Posts, ausgefüllte Bestell-Formulare, Inhalte von verschickten E-Mails etc.
abgeleitete Daten: Daten, die aus vorhandenen Daten erzeugt werden,
etwa die Kaufhistorie beim Online-Shopping oder das regelmäßige Klickverhalten
Metadaten: automatisch erzeugte Daten, die bei jeder digitalen Interaktion entstehen, z.B. Ort und Zeitpunkt eines Website-Besuchs oder eines Telefonats
algorithmische Daten: Datenauswertungen häufig mittels Maschinen Lernen, die auf Statistik beruhen und Vorhersagen über Nutzer*innen und ihr Verhalten treffen können.
3. Kontrolle und Selbstbestimmung
Seit langem gilt die medienerzieherische Sorge den bewusst erzeugten bzw. kommunizierten Daten: Sind sie zu privat? Beleidigen sie Dritte? Liegen die Nutzungsrechte zur Verbreitung vor? Ein medienpädagogischer Imperativ sagt: “Denke nach, bevor du diese Daten ins Netz stellst!” – oder “Think before you post!”.4
Was aber passiert mit “meinen Daten” weiter und welche Kontrolle haben wir über die nicht bewusst und algorithmisch erzeugten Daten? Und was sagen sie über uns aus, wenn sie weiter verknüpft und ausgewertet werden?
Bewusste Entscheidungen über meine Daten betreffen nur einen kleinen Teil der Datenströme. Über lange Zeiträume gesammelte Daten, die zumeist in den Händen von Internet-Konzernen liegen, können viel über uns aussagen und sind zugleich schwer zu kontrollieren:
Was sagen meine “Likes” über mich aus?
Aus der Analyse von “Likes” für Musik, Konsumprodukte oder Essensvorlieben beispielsweise auf Facebook lassen sich psychologische Persönlichkeitsmerkmale mit bemerkenswerter Genauigkeit statistisch erstellen und für Vorhersagen in anderen Lebensbereichen nutzen. Häufig wird dabei das Big Five oder OCEAN-Modell (für Openness – Offenheit, Conscientiousness – Gewissenhaftigkeit, Extraversion – Weltoffenheit, Agreeableness – Verträglichkeit, Neuroticism – Neurotizismus) der Persönlichkeitspsychologie angewendet.
Was ist informelle Selbstbestimmung?
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung “gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen” (BVerfGE 65, 1). In seiner Begründung zum Volkszählungsurteil vom 15.12.1983 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass eine Gesellschaftsordnung, !in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß! nicht mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar ist.
Ausführlicher dazu die beiden Glossar-Einträge:
- Informationelle Selbstbestimmung als rechtswissenschaftlicher Begriff – Das Recht jeder Person, selbst über die Preisgabe und Verwendung der eigenen personenbezogenen Daten zu bestimmen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung soll gewährleisten, dass auch unter den Bedingungen elektronischer Datensammlung und -speicherung das Grundrecht der Bürger*innen auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit unangetastet bleibt.
- Informationelle Selbstbestimmung als medien- und kulturwissenschaftlicher Begriff – Zentrales Persönlichkeitsinteresse, das auf dem aufklärerischen Ideal persönlicher Autonomie und Freiheit aufbaut und im Kontext der Preisgabe und Verwendung personenbezogener Daten relevant wird.
Für den Einzelnen ist es im Netz nicht absehbar, welche Daten wohin fließen und welche Interpretationen durch Kombination von scheinbar belanglosen Daten gegenwärtig und zukünftig möglich werden.6 Daten können aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang und ohne Wissen der Datengebenden für gänzlich neue Auswertungen genutzt werden.
Die Allgegenwärtigkeit der Erfassung und Verarbeitung digitaler Daten ist im Zusammenhang mit der sogenannten digitalen Transformation zu sehen. Um die darin liegenden Wechselwirkungen geht es im nächsten Kapitel.
Quellen
1 Vgl. Ebert, F., Munzinger, H., Wormer, V. (2019, 13. Dezember). So hat die SZ das Smartphone durchleuchtet. Süddeutsche Zeitung. Abgerufen am 17. Mai 2022, von https://www.sueddeutsche.de/digital/daten-tracking-recherche-1.4719095.
2 Weigend, Andreas (2017): Data for the People. Wie wir die Macht über unsere Daten zurückerobern, Hamburg: Murmann Publishers.
3 Vgl. dazu die “Datentaxonomie” (1) provided data; (2) observed data; (3) derived data; and (4) inferred data nach OECD (2014, 21. März). Summary of the OECD Privacy Expert Roundtable “Protecting Privacy in a Data-driven Economy: Taking Stock of Current Thinking”. DSTI/ICCP/REG(2014)3. http://www.oecd.org/officialdocuments/publicdisplaydocumentpdf/?cote=dsti/iccp/reg(2014)3&doclanguage=en.
4 Vgl. Medienkompetenz.bildung.hessen.de (o.D.). Think before you post — Umgang mit persönlichen Daten und Bildern im Netz. Abgerufen am 17. Mai 2022, von https://medienkompetenz.bildung.hessen.de/unterrichtsbeispiel/think-before-you-post-umgang-mit-persoenlichen-daten-und-bildern-im-netz/.
5 Vgl. Azucar, A., Marengo, D. & Settanni, M. (2018). Predicting the Big 5 personality traits from digital footprints on social media: A meta-analysis. Personality and Individual Differences, 124, 150–159.
6 Vgl. etwa Hagendorff, T. (2017). Das Ende der Informationskontrolle. Bielefeld: transcript.
Tag:Big Data Literacy, Daten, Einführung, Kurs