Das Leitfadeninterview
Inhaltsübersicht
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- Übersicht: Wie Sie mit dieser Selbstlerneinheit arbeiten
- Einstieg: Was ist ein Leitfadeninterview?
- Besondere Form: Das Expert*inneninterview
- Die Erstellung eines Leitfadens und Grundsätze zur Fragenformulierung
- Zusammenfassung: Schritte zur Vorbereitung des Leitfadeninterviews und Checkliste
- Durchführung des Leitfadeninterviews
- Dokumentation, Auswertung und Reflexion
- Forschungsethik und Datenschutz
1. Übersicht: Wie Sie mit dieser Selbstlerneinheit arbeiten
Das Forschende Lernen im BFP folgt dem Konzept des Blended Learning, das hier genauer erläutert wird.
Nachdem Sie Ihre vorläufige Untersuchungsfrage in Ihrem Begleitseminar entwickelt haben, sollten Sie eine Themenrecherche durchführen und Informationen sowie theoretische Zugänge zu Ihrem Forschungsthema erarbeiten. Die Materialien zu Ihrem Wahlthema bieten dabei einen guten Ausgangspunkt. Anschließend entscheiden Sie sich für eine Forschungsmethode und finalisieren idealerweise Ihre Untersuchungsfrage. Wenn Sie noch zu wenige Informationen zu Ihrem Praktikumsplatz haben, um die Untersuchungsfrage fertigzustellen, können Sie zunächst mit Ihrer vorläufigen Untersuchungsfrage weiterarbeiten. Denken Sie daran, sich zu einem Workshop in der Woche zum Forschenden Lernen anzumelden.
Sie können bereits einige Impulse zur Vorbereitung des Forschenden Lernens in Ihrem Portfolio bearbeiten.
Im nächsten Schritt erwerben Sie mithilfe dieser Selbstlerneinheit Methodenkenntnisse zum Leitfadeninterview, um gut vorbereitet am Workshop Leitfadeninterview teilzunehmen. In diesem Workshop entwickeln Sie einen ersten Entwurf für Ihren Interviewleitfaden, den Sie später – u. a. unterstützt durch Peer-Feedback – finalisieren.
2. Einstieg: Was ist ein Leitfadeninterview?
In diesem Video erfahren Sie, was ein Leitfadeninterview ist und wie es sich von anderen Interviews unterscheidet. Außerdem lernen Sie das Prinzip “So offen wie möglich, so strukturierend wie nötig” kennen, das Sie bei der Erstellung des Leitfadens beachten sollen.
3. Besondere Form: Das Expert*inneninterview
Im Berufsfeldpraktikum bietet es sich an, ein Expert*inneninterview zu führen. Dabei handelt es sich um eine besondere Form des Leitfadeninterviews, das über die spezielle Auswahl und den Status der Befragten und das Interesse an Expertenwissen bestimmt ist. Wer Expert*in sein kann, welche Themen Sie in diesem Interview erfragen können und was Sie bei der Vorbereitung beachten sollten, erfahren Sie im nachfolgenden Video.
4. Die Erstellung eines Leitfadens und Grundsätze zur Fragenformulierung
Die Erstellung eines Leitfadens
Der Leitfaden sollte drei wesentliche Anforderungen erfüllen:
- Offenheit als Priorität: Interventionen als Einschränkungen der Äußerungsmöglichkeiten müssen mit dem Forschungsinteresse begründet sein.
- Übersichtlichkeit: Der Leitfaden muss übersichtlich sein. Zu viele Fragen beschränken die Erzählzeit.
- Anschmiegen an den Erzählfluss: Der Aufbau eines Leitfadens sollte dem Erinnerungs- oder Argumentationsfluss folgen und nicht zu abrupten Sprüngen, Themenwechseln oder zum Switchen zwischen der Erinnerungsperspektive und einer Reflexionsperspektive zwingen.
(vgl. Helfferich 2022: 883)
Um den Leitfaden nach diesen Prinzipien zu erstellen, bietet sich die SPSS-Methode der Leitfadenerstellung an, die von Cornelia Helfferich entwickelt und von Jan Kruse erweitert wurde.
Leitfadenerstellung SPSS-Methode I ZfL Köln I CC BY SA 4.0
Im Video wird die SPSS-Methode genauer erklärt. Im Workshop werden Sie die Grundzüge Ihres Leitfadens mithilfe dieser vierschrittigen Methode erstellen. Für Ihren Leitfaden können Sie die Vorlage “Schema eines Leitfadens” verwenden und Ihren Bedürfnissen entsprechend anpassen.
10 Grundsätze und Tipps zur Formulierung von Fragen
Für ein gelingendes Interview sollten Sie einige Grundsätze und Tipps berücksichtigen:
- Kurze, verständliche und präzise Fragen formulieren.
- Einfache Wortwahl verwenden und unklare Begriffe erklären.
- Adressat*innenorientierte Formulierungen verwenden.
- Keine zu hohen Anforderungen an mentale oder kognitive Leistungsfähigkeit der Befragten stellen.
- Keine geschlossenen Fragen verwenden, d. h. Fragen, die mit Ja oder Nein beantwortbar sind (Ist Ihre Kindheit gut verlaufen?), sondern offene Fragen (Wie ist Ihre Kindheit verlaufen?) oder Erzählaufforderungen (Erzählen Sie mir von Ihrer Kindheit.).
- Möglichst keine Verneinungen, zumindest keine doppelte Verneinung verwenden (Versuchen Sie das nicht bei Ihren pädagogischen Angeboten zu vermeiden?).
- Schwierige und persönliche Fragen nicht am Anfang stellen.
- Keine überfrachteten Fragen (Formulierungen, die mehr als einen Aspekt enthalten) verwenden.
- Keine wertenden oder aggressiv klingenden Fragen verwenden.
- Keine Suggestivfragen (Sie haben doch bestimmt…?) verwenden oder Erwartungen andeuten (Ich gehe davon aus, dass Sie … ?).
5. Zusammenfassung: Schritte zur Vorbereitung des Leitfadeninterviews und Checkliste
Schritte zur Vorbereitung des Leitfadeninterviews
Grafik: ZfL Köln.
Mit diesen vier Schritten gelangen Sie von der Entwicklung einer Untersuchungsfrage bis zur Durchführung des Leitfadeninterviews.
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Checkliste
Grafik: ZfL Köln.
Bevor Sie das Interview am Praktikumsplatz durchführen, können Sie anhand nebenstehender Checkliste überprüfen, ob Sie an alles gedacht haben.
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6. Durchführung des Leitfadeninterviews
Sie sollten großen Wert auf die Gestaltung der Interviewsituation legen, denn von ihr hängen die Güte und die Brauchbarkeit der erhobenen Daten ab. Im Video erfahren Sie, warum es empfehlenswert ist, das Interview aufzunehmen und welche Absprachen Sie mit der Interviewperson treffen sollten. Außerdem geht es darum, wie Sie eine gute Gesprächsatmosphäre schaffen und trotz Ihres Leitfadens flexibel auf die Interviewperson eingehen können.
7. Dokumentation, Auswertung und Reflexion
Dokumentation, Auswertung und Reflexion des Interviews sollten zeitnah erfolgen. Direkt nach dem Interview sollten Sie sich erste Notizen zur Interviewsituation machen:
- Was hat gut funktioniert?
- Welche Herausforderungen sind Ihnen bei der Durchführung begegnet?
- Was haben Sie vielleicht verändert?
- Was ist Ihnen sonst noch aufgefallen?
Dokumentation
Nun sollen Sie das Interview verschriftlichen. Im BFP reicht es aus, das Interview grob zu transkribieren. Das bedeutet: Die Inhalte für jede Leitfrage bzw. Erzählaufforderung werden zusammengefasst, sodass der thematische Verlauf deutlich wird. Sie könnten Schlüsselwörter oder zentrale Aussagen besonders hervorheben, zum Beispiel durch Fettung. Besonders interessante Aussagen können auch wörtlich transkribiert werden.
Auswertung
Zur inhaltlichen Auswertung können Sie sich mit folgenden Fragen beschäftigen:
- Welche Antworten kann ich in meinem Interview zu meiner Untersuchungsfrage herausarbeiten?
- Wie lässt sich meine vorherige Themenrecherche mit den Ergebnissen in Zusammenhang bringen?
In der qualitativen Sozialforschung gängige Auswertungsmethoden wie die Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring oder die Grounded Theory müssen Sie im BFP nicht anwenden.
Reflexion
Zum Schluss reflektieren Sie – das konkrete Interview, Ihre Erkenntnisse und die Methode. Im Portfolio finden Sie Impulse, die Sie bei der Reflexion anleiten. Sie müssen nicht jede Frage eins zu eins beantworten, sondern können Schwerpunkte setzen. Wichtig ist, dass Sie sich für den Schritt der Reflexion genügend Zeit nehmen und Ihre Gedanken und Ideen im Portfolio notieren.
8. Forschungsethik und Datenschutz
Forschungsethik
Forschungsethik in einer studentischen Forschungsarbeit bezieht sich auf die moralischen Grundsätze und Verhaltensnormen, die während des Forschungsprozesses beachtet werden müssen. Diese ethischen Richtlinien dienen dazu, die Rechte, die Würde und das Wohlbefinden aller an der Forschung beteiligten Personen zu schützen und die Integrität der Forschung zu wahren. Im Kontext des BFP sind folgende Aspekte von Bedeutung:
- Einwilligung nach Aufklärung: Sie müssen sicherstellen, dass alle Teilnehmenden Ihrer Studie eine informierte Zustimmung geben, nachdem sie über Ziele, Methoden, mögliche Risiken und Nutzen der Forschung aufgeklärt wurden.
- Anonymität und Datenschutz: Es ist wichtig, die Privatsphäre der Teilnehmenden zu wahren. Persönliche Daten sollten anonymisiert und vertraulich behandelt werden.
- Nicht-Schädigung: Als Forschende müssen Sie darauf achten, dass durch Ihre Forschungsarbeit niemandem Schaden zugefügt wird, sei es emotional, sozial oder physisch.
Die Einhaltung der Forschungsethik ist ein wichtiger Bestandteil des Forschenden Lernens. Sie dient nicht nur dem Schutz der Studienteilnehmenden, sondern auch der Gewährleistung der Qualität und Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Datenschutz
Grafik: ZfL Köln.
Da Sie mit einem Leitfadeninterview sensible Daten erheben, müssen Sie den befragten Personen eine schriftliche Erklärung über die Verwendung der Daten vorlegen und die Einverständnisverklärung unterschreiben lassen. Dazu können Sie die Mustervorlage verwenden und für Ihre Forschungszwecke anpassen.
Literatur
Helfferich, C. (2022). Leitfaden- und Experteninterviews. In N. Baur & J. Blasius (Hrsg.), Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung, Wiesbaden: Springer VS , S. 875-892.
Loosen, W. (2016). Das Leitfadeninterview – eine unterschätzte Methode. In S. Averbeck-Lietz & M. Meyen (Hrsg.), Handbuch nicht standardisierte Methoden in der Kommunikationswissenschaft, Wiesbaden: Springer VS, S. 139-155. Online unter: https://doi.org/10.1007/978-3-658-01656-2_9.
Mayer, H. (2013). Interview und schriftliche Befragung. Grundlagen und Methoden empirischer Sozialforschung. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag. Online unter: https://doi.org/10.1524/9783486717624. (hier insb. Kapitel 5: Qualitative Befragung – Das Leitfadeninterview).
Schreier, M., Echterhoff, G., Bauer, J., Weydmann, N. & Hussy, W. (2023). Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften für Bachelor, 3., überarb. u. erg. Auflage, Berlin, Heidelberg: Springer. Online unter: https://doi.org/10.1007/978-3-662-66673-9 (hier insb. Kap. 2.3.2.3: Tipps zur Formulierung von Fragen; Kap. 6.2: Interviewverfahren).