Möglichkeiten der pädagogischen Begleitung
Wir konnten in den letzten Lektionen feststellen, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung noch immer mit massiven Einschränkungen und Barrieren bei der Inanspruchnahme von psychiatrischer und psychotherapeutischer Hilfe konfrontiert sind. Welche Rolle aber die Sonderpädagogik dabei einnehmen kann und sollte, um ihre Schüler*innen zu unterstützen, wurde bislang kaum beachtet, weder in diesem Lernmodul noch in der Literatur. Und das, obwohl der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung und einem zusätzlichem Förderbedarf im Bereich emotionaler und sozialer Entwicklung seit Jahren zunimmt 1.
Wieso sind psychische Störungen der Schüler*innen denn nun auch eine sonderpädagogische Aufgabe?
Wir als (angehende) Lehrkräfte nehmen im Leben unserer Schüler*innen eine große Bedeutung ein: Über viele Jahre hinweg verbringen die Kinder in einer entscheidenden Phase ihrer Entwicklung fast ebenso viele Stunden des Tages in der Schule wie zu Hause. Keine Institution hat so lange einen verlässlichen Zugang zu den Kindern und Jugendlichen 2.
Es bietet sich an, die Chancen in Bezug auf Prävention, Erkennung und Behandlung von psychischen Störungen zu nutzen, gerade weil sich die psychologische und psychotherapeutische Arbeit durch Kontinuität und Langfristigkeit auszeichnet.
Da eine Auseinandersetzung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung bislang jedoch weitestgehend fehlt, wird eine erweiterte Qualifikation in Bezug auf die neue Schülerschaft sowohl pädagogisch als auch in der interdisziplinären Kooperation gefordert 1.
Wie sieht die Aufgabe der Sonderpädagogik dann konkret aus?
Die Hauptaufgabe der Pädagog*innen ist es, auf die Einleitung einer psychiatrischen Diagnostik und Therapie hinzuwirken und sich als Teil einer multimodalen Intervention einzubringen 3.
Dazu muss jede einzelne Lehrperson das Verhalten der Lernenden unter den verschiedenen Perspektiven betrachten, „um zu entscheiden, ob sie das Problem mit eigenen pädagogischen Mitteln zu bewältigen versuchen, oder ob sie zusätzlich externe Beratungen in Anspruch nehmen sollen bzw. die Angehörigen auffordern müssen, sich um ärztlich-psychologische Hilfe zu kümmern” (Hennicke 2014, 244f. 3).
Die Aufgaben der Lehrkräfte können konkret in vier verschiedene Phasen differenziert werden: Prävention, Verhaltensbeobachtung, Vermittlung und Einleitung psychologischer und psychotherapeutischer Hilfen sowie die Unterstützung bei einer ganzheitlichen Behandlung.
Indem Sie sich durch die nachstehende Präsentation klicken, erhalten Sie erste Informationen zu einzelnen Handlungsansätzen und Möglichkeiten der Unterstützung der Schüler*innen während der einzelnen Phasen.
Die Ansätze und Konzepte werden, bedingt durch den Umfang, an dieser Stelle nur skizziert.
Es sollen keine Patentrezepte geliefert werden, weshalb bewusst kein konkreter Bezug zu den einzelnen Störungsbildern hergestellt wird.
Die skizzierten Ansätze sind immer individuell an die Voraussetzungen, Bedürfnisse, Wünsche und Symptomatiken der jeweiligen Schüler*innen anzupassen. Es empfiehlt sich diese auch bei einer begrenzten Teilhabemöglichkeit zu erheben und zu berücksichtigen.
Literatur
1 Klauß, T. (2014): Schüler(innen) mit auffälligem Verhalten. Eine wachsende Herausforderung an die Schule im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. In K. Hennicke & T. Klauß (Hrsg.), Problemverhalten von Schüler(innen) mit geistiger Behinderung (S. 22-39). Marburg: Lebenshilfe Verlag.
2 Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (Hrsg.) (2017): Wenn Schüler mit geistiger Behinderung verhaltensauffällig sind. Konzepte und Praxisimpulse für Regel- und Förderschulen. 2. Auflage. München, Basel: Ernst Reinhardt Verlag.
3 Hennicke, K. (2014): Verhaltensauffälligkeiten – Problemverhalten – Psychische Störung. Unterschiede und Entscheidungshilfen. In K. Hennicke & T. Klauß (Hrsg.), Problemverhalten von Schüler(innen) mit geistiger Behinderung (S. 220-249). Marburg: Lebenshilfe Verlag.
4 Sarimski, K. (2008): Geistige Behinderung und Störungen der sozialen und emotionalen Entwicklung. In B. Gasteiger-Klicpera, H. Julius & C. Klicpera (Hrsg.), Sonderpädagogik der sozialen und emotionalen Entwicklung. Band 3 (S. 365-378). Göttingen: Hogrefe.
5 Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2012): Empfehlung zur Gesundheitsförderung und Prävention in der Schule. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15.11.2012. Verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_11_15-Gesundheitsempfehlung.pdf.
6 Kannewischer, S. & Wagner, M. (2011): FESK. Förderung emotional-sozialer Kompetenz. München: Hintermaier.
7 Sarimski, K. (2005): Psychische Störungen bei behinderten Kindern und Jugendlichen. Göttingen: Hogrefe.
8 Bräutigam, D. & Schatz, H. (2012): Locker bleiben. Sozialtraining für Schüler im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. In C. Ratz (Hrsg.), Verhaltensstörungen und geistige Behinderung (S. 313-328). Oberhausen: Athena.
9 Döpfner, M. & Lehmkuhl, G. (2000): DISYPS-KJ. Diagnostik-System für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter nach ICD-10/DSM-IV. Bern: Hans Huber.
10 Kittmann, N. & Grüter, A. (2014): Bedeutung pädagogischer Arbeit. In C. Schanze (Hrsg.), Psychiatrische Diagnostik und Therapie bei Menschen mit Intelligenzminderung. Ein Arbeits- und Praxisbuch für Ärzte, Psychologen, Heilerziehungspfleger und -pädagogen (S. 369-375). 2. Auflage. Stuttgart: Schattauer.
11 Roth (2014), zitiert nach Lingg, A. & Theunissen, G. (2017): Psychische Störungen und geistige Behinderung. Ein Lehrbuch und Kompendium für die Praxis. 7. Auflage. Freiburg im Breisgau: Lambertus.
12 Bergsson, M. & Luckfiel, H. (2005): Umgang mit ‘schwierigen Kindern’. 5. Auflage. Berlin: Cornelsen Scriptor.
13 Lingg, A. & Theunissen, G. (2017): Psychische Störungen und geistige Behinderung. Ein Lehrbuch und Kompendium für die Praxis. 7. Auflage. Freiburg im Breisgau: Lambertus.
14 Hillenbrand, C., Hennemann, T., Hens, S. & Hövel, D. (2010): ‘Lubo aus dem All!’ – 1. und 2. Klasse. Programm zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen. München: Ernst Reinhardt Verlag.