Psychotherapie
Lange Zeit galt Psychotherapie bei Menschen mit einer geistigen Behinderung aufgrund eingeschränkter Selbstbeobachtungs-, Reflexions- und Kommunikationsfähigkeiten als nicht durchführbar 1.
Diese Einstellung hat sich mittlerweile gewandelt, aber noch immer steht ihnen meist ein nur sehr beschränktes Angebot von Psychotherapie zur Verfügung 2.
So stehen sowohl Psychotherapeuten und -therapeutinnen als auch Krankenkassen einer Therapie teils noch skeptisch gegenüber 3. Neben den zusätzlichen zeitlich intensiven Anforderungen, die Menschen mit einer geistigen Behinderung an eine Therapie stellen, wird häufig bezweifelt, dass ein Behandlungserfolg zu erwarten ist und die Voraussetzungen hinsichtlich der eigenen Motivation und der Umstellungsfähigkeit des zu Behandelnden gegeben sind 3.
Wie kann eine Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung umgesetzt werden?
Die Therapie fällt aufgrund der geringeren Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne häufig kürzer aus 4. Ausgleichend dafür werden mehrere Sitzungen in der Woche empfohlen 5.
Wie erfolgsversprechend ist eine Psychotherapie bei ihnen?
Bezogen auf die Wirksamkeit verschiedener psychotherapeutischer Ansätze bei Menschen mit einer Lern- oder geistigen Behinderung gibt es nur wenige systematische Reviews und Metaanalysen.
In einer zusammenfassenden Arbeit stellten Kufner & Bengel jedoch bereits heraus, dass durch eine Einzeltherapie, insbesondere bei Menschen mit einer leichten Intelligenzminderung, positive Effekte erzielt werden konnten 6.
Es ist anzunehmen, dass Psychotherapien darüber hinaus, bei Beachtung der zusätzlichen Anforderungen, ähnlich erfolgsversprechend sein können wie bei Kindern und Jugendlichen ohne eine geistige Behinderung.
Der Erfolg der Therapie ist unter anderem davon abhängig, inwieweit das Umfeld, also Eltern, Bezugspersonen und Schule, bei der Therapie mitwirkt 7.
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Wie kann Psychotherapie bei Schüler*innen mit einer geistigen Behinderung konkret aussehen?
Wie kann Psychotherapie bei Schüler*innen mit einer geistigen Behinderung konkret aussehen?
Verhaltenstherapie:
Eine der wohl populärsten Formen der Psychotherapie bei Menschen mit einer geistigen Behinderung ist die Verhaltenstherapie.
Neben der Psychopharmakotherapie ist diese das einzige Verfahren, dessen Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist 8, nicht nur bei der Behandlung psychischer Störungen, sondern auch zur allgemeinen Anregung weiterer Entwicklungsfortschritte.
Nachdem lange Zeit vor allem Strafreize eingesetzt wurden und die Verhaltenstherapie daraufhin insbesondere bei Vertreter*innen der Behindertenhilfe massiv in der Kritik stand 8, wendete man sich funktionalen Ansätzen zu. Diese suchen zunächst nach Auslösern, Sinn und aufrechterhaltenden Bedingungen des Verhaltens und versuchen sie anschließend zu verändern 8.
Verhaltenstherapeutische Maßnahmen bergen jedoch gerade bei Kindern und Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung eine große Gefahr der Manipulation und Symptomverschiebung, weshalb sie wohl überlegt und mit einer klaren Zielsetzung einzusetzen sind 9.
Systemische Therapie:
Darüber hinaus weit verbreitet in der Therapie bei Menschen mit einer geistigen Behinderung sind systemische Therapieansätze.
Diese werden erst seit 2019 durch die Psychotherapierichtlinien als Krankenbehandlung anerkannt 10.
Geeignet ist sie sowohl für Kinder- und Jugendtherapie 11, als auch für Menschen mit einer geistigen Behinderung 7.
Mittelpunkt systemischer Therapien ist nicht die Person mit den Symptomen, sondern die Beziehungen und Konstruktionen von Wahrheit innerhalb eines gesamten sozialen Systems. Konkret geht es so um die Kommunikation, Wahrnehmungen und Erwartungen einzelner Mitglieder, sowie deren wechselseitigen Auswirkungen 12.
Literatur
1 Buchner, T. (2011): Was wirkt und wie? Faktoren für ein erfolgreiches Gelingen von Psychotherapie für Menschen mit intellektueller Behinderung. In K. Hennicke (Hrsg.), Praxis der Psychotherapie bei erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung (S. 107-125). Marburg: Lebenshilfe Verlag.
2 Schäper, S. & Glasenapp, J. (2016): Barrieren in der psychotherapeutischen Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung. Einschätzungen und Eindrücke zum aktuellen Stand. In J. Glasenapp & S. Schäper (Hrsg.), Barrierefreie Psychotherapie. Möglichkeiten und Grenzen einer psychotherapeutischen Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung. Dokumentation der Fachtagung der DGSGB am 11.März 2016 in Kassel (S. 4-12). Band 37. Berlin: DGSGB. Verfügbar unter: https://dgsgb.de/downloads/materialien/Band37.pdf.
3 Hohn, E. & Janssen, D. (2014): Verhaltenstherapie unter systemischen Aspekt bei Menschen mit geistiger Behinderung. Grundsätzliche Überlegungen und vier Praxisbeispiele. In K. Hennicke (Hrsg.), Ambulante Psychotherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung und einer psychischen Störung. Praktische Erfahrungen mit den sog. Richtlinienverfahren. Dokumentation der Arbeitstagung der DGSGB am 5.3.2004 in Kassel (S. 34-54). Band 9. Berlin: DGSGB. Verfügbar unter: https://dgsgb.de/downloads/materialien/Band9.pdf.
4 Peters, H. (2001): Psychotherapeutische Zugänge zu Menschen mit geistiger Behinderung. Stuttgart: Klett-Cotta.
5 Häßler, F., Tilch, P. & Buchmann, J. (2000): Psychopharmakotherapie und andere therapeutische Konzepte in der Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung. In F. Häßler, J. M. Fegert (Hrsg.), Moderne Behandlungskonzepte für Menschen mit geistiger Behinderung. Therapiekompendium für Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter und Pflegekräfte (S. 85-117). Stuttgart: Schattauer.
6 Kufner, K. & Bengel, J. (2016): Psychotherapie für Menschen mit geistiger Behinderung. Hintergründe. In J. Glasenapp & S. Schäper (Hrsg.), Barrierefreie Psychotherapie. Möglichkeiten und Grenzen einer psychotherapeutischen Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung. Dokumentation der Fachtagung der DGSGB am 11.März 2016 in Kassel (S. 19-31). Band 37. Berlin: DGSGB. Verfügbar unter: https://dgsgb.de/downloads/materialien/Band37.pdf.
7 Vogel, V. (2012): Psychotherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung. Marburg: Tectum Verlag.
8 Sarimski, K. & Steinhausen, H.-C. (2008): Psychische Störungen bei geistiger Behinderung. Band 11. Göttingen: Hogrefe.
9 Hennicke, K., Buscher, M. & Goosen-Runge, G. (2009): Psychische Störungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen mit Intelligenzminderung. Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP). Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
10 Gemeinsamer Bundesausschuss (2019): Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinie). Verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2029/PT-RL_2019-11-22_iK-2020-01-24.pdf.
11 Zander, B., Balck, F., Rotthaus, W. & Strack, M. (2001): Effektivität eines systemischen Behandlungsmodells in der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 50 (5), 325-341.
12 von Schlippe, A. & Schweitzer, J. (2019): Systemische Interventionen. 4. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.