GBL und Serious Games beurteilen
Ist es wirklich ein Spiel?
Oft wird der Begriff Spiel verwendet, obwohl eine Anwendung keinen wirklichen Spielcharakter hat. Wenn es sich „nur“ um ein verkleidetes interaktives Tool handelt (Farber, 2015, S. 20), oder etwa um eine gamifizierte Anwendung, dann heißt dies keineswegs automatisch, dass es sich um eine „schlechte“ Anwendung handelt. Sie sollten aber Ihren Blick dafür schärfen, ob etwas ein Spiel ist oder nicht. Auch weil Ihre Schülerinnen und Schüler bei dem Begriff Spiel vermutlich bestimmte Erwartungen haben werden, die dann evtl. enttäuscht werden. Es gehört eine Menge Erfahrung dazu, aber wenn Sie selbst Spiele spielen und das in Frage kommende Serious Game (bzw. Educational Game) vor dem Einsatz testen können, werden Sie mit der Zeit ein gutes Gespür dafür entwickeln, was ein Spiel ist, und was nicht.
Auch wenn eine Lernanwendung für Sie eindeutig ein Spiel ist, muss das noch lange nicht heißen, dass es ein „gutes“ Educational Game ist. Denn Entwickler von Lernspielen müssen eine große Herausforderung meistern: Wie sorgt man dafür, dass Lerninhalte und Spielelemente gut zusammenpassen?
Weil das Ganze so kompliziert ist, hat sich in der englischsprachigen Welt sogar ein Begriff für besonders erfolglose Versuche etabliert: “Chocolate-Covered Broccoli” (Breuer, 2010; Farber 2014) – mit Schokolade überzogener Brokkoli.
Dieses Bild steht für den erfolglosen Versuch, ernsthafte bzw. wichtige Lerninhalte (den gesunden Brokkoli) unter Spielelementen, die unterhalten sollen (die leckere Schokolade), zu verstecken.
Das ist in vielfacher Hinsicht ungünstig. Nicht nur weil die Spielenden in der Regel schnell durchschauen, dass es kein „richtiges“ Spiel ist. Auch weil die Schüler sich dann nicht nur mit Lerninhalten, sondern dazu noch mit irrelevanten Spielelementen beschäftigen müssen. Das wiederum bindet unnötigerweise kognitive Kapazitäten, sprich das Lernen wird am Ende sogar erschwert.
Matthew Farber (2014) rät deshalb dazu, die Schüler bei der Beurteilung von Educational Games mit einzubeziehen und dabei nicht nur den Inhalt, sondern explizit auch die Spielerfahrung der Schüler abzufragen.
Außerdem empfiehlt er darauf zu achten, dass in Frage kommende Lernspiele typische Spielmechaniken enthalten, z.B. dass die Spieler Entscheidungen treffen, Probleme lösen und Rollen einnehmen können (Farber 2014).
Schwierig kann es mitunter auch sein, wenn ein Spiel belehrend oder aufklärerisch Lerninhalte darbietet (Wagner & Gabriel, 2017, S. 341). Oder wenn das (Lern-)Spielerlebnis zu sehr durch Phasen expliziten Lernens gestört wird, also dadurch, dass den Spielern ganz deutlich bewusst wird, dass es nun nur darum geht, zielgerichtet etwas zu lernen (Kerres, 2018, S. 395).
Wie erwähnt: es ist eine hohe Kunst Spiele zu entwickeln, bei denen Spielinhalte und Lerninhalte miteinander harmonieren. Ein Merkmal, das solche Spiele häufig auszeichnet, ist dass die Spielmechaniken und die Lernziele gut aufeinander abgestimmt sind. Denn dadurch wird gewährleistet, dass die Aktivitäten, die von den Spielenden während des Spiels ausgeführt werden, und die Kompetenzen, die Sie gemäß Ihren Lernzielen anstreben, möglichst gut aufeinander abgestimmt sind (Institute of Play; Boller & Kapp, 2018, S.50).
Wenn in einem Educational Game z.B. das Lernziel „Addieren können“ angestrebt wird, dann sollten die maßgebenden Handlungen im Spiel auch (indirekt) etwas mit „addieren“ zu tun haben.
Natürlich ist dies nicht das einzige Qualitätskriterium von Educational Games. Es gehört z.B. auch dazu, dass in Spielen nach Möglichkeit auf Formen des expliziten Lernens verzichtet wird und stattdessen Formen inzidentellen Lernens bedient werden. Etwa indem Spielobjekte von sich aus einen Aufforderungscharakter zeigen (ein Blinken könnte bedeuten “interagiere mit mir”); und nicht durch Pop-Up-Fenster mit einer Erklärung der Funktion darauf hingewiesen und der Spielfluss unterbrochen wird (Kerres, 2018, S. 396).
Es gibt auch sehr gute Lernspiele, die ganz anders funktionieren. Dennoch lohnt es sich, den eigenen Blick auch in dieser Hinsicht zu schärfen, um den Unterrichtswert von Educational Games beurteilen zu können.
Wenn Sie sich für diesen Aspekt des Educational Game Design interessieren, finden Sie auf digital-spielend-lernen.de weitere Informationen.
Generelle Hinweise zur Bewertung digitaler Lernmaterialien beachten
Weitere Hinweise hierzu finden Sie z.B. im digiLL-Kurs Kriterien zur Bewertung von digitalen Lernmaterialien.
- Breuer, J. (2010). Spielend lernen? Eine Bestandsaufnahme zum (Digital) Game Based Learning. LfM-Dokumentation Band 41/Online, Düsseldorf: Landesamstalt für Medien NRW (LfM), aufgerufen am 22.03.2019.
- Farber, M. (2014). Why Serious Games Are Not Chocolate-Covered Broccoli, edutopia.org, aufgerufen am 02.04.2019
- Kerres, M. (2018). Mediendidaktik – Konzeption und Entwicklung digitaler Lernangebote, 5. Aufl., Berlin, Boston: De Gruyter/Oldenbourg.