Wechselwirkungen zwischen Mensch, Digitaltechnologie und sozialer Welt
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Zur Beschreibung des digitalen Wandels – der sogenannten digitalen Transformation – und der gesellschaftlichen Rolle, die Daten spielen, ist es hilfreich, sich das Verhältnis zwischen Individuum, Digitaltechnologie, wie beispielsweise einem Smartphone, und sozialer Welt als ein Dreieck von Wechselwirkungen vorzustellen.1, 2
Eingebettet ist dieses Dreieck in eine biologische und materielle Umwelt. Der Umweltaspekt ist dann von Bedeutung, wenn die natürlich-ökologischen Auswirkungen des digitalen Wandels betrachtet werden, wie beispielsweise der Energieverbrauch von Rechenzentren oder der Abbau von Rohstoffen, die zur Produktion von Digitaltechnologien notwendig sind. Diese Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung der digitalen Gesellschaft – so wichtig sie auch sind – sollen an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf das Dreieck:
Grafische Gestaltung der Wechselwirkungen zwischen Mensch, Digitaltechnologie und sozialer Welt nach Gaspski (2021): I Team DigitaleLehre des ZfL der Universität zu Köln (https://zfl.uni-koeln.de/) I CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by- sa/4.0/)
Wichtig sind die Doppelpfeile in diesem Dreieck: Sie zeigen an, dass es hier nicht um einseitige “technikdeterministische” Beziehungen geht. Dies bedeutet: Die Technik bestimmt nicht allein die soziale Welt, etwa die des schulischen Lernens, und wirkt auch nicht in festgelegter Weise auf die Psyche. Die Strukturen und Funktionen von Technologie dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern eingebettet in individuelle und soziale Nutzungszusammenhänge.
Das Internet ist beispielsweise auch nicht allein “verantwortlich” für immer mehr Hass und Hetze im Netz. Es geht um wechselseitige Veränderungsprozesse zwischen individuellen, technologischen und sozialen Entwicklungen, zwischen psychisch-kognitiven Bedingungen und Kulturen der Techniknutzung. Dennoch werden nicht selten technologiezentrierte Lösungen für soziale Probleme vorgeschlagen, anstatt die vielfältigen Wechselwirkungen zu berücksichtigen und in die Gestaltung einzubeziehen.
Dieses Dreieck kann über die Jahrtausende der Medien- und Gesellschaftsentwicklung von der Schrift bis zur Digitalisierung jeweils neu interpretiert werden. Medien und Gesellschaftsentwicklung beeinflussen sich wechselseitig. Mit der Erfindung der Schrift werden Zeit und Kultur neu geordnet. Die Erfindung des Buchdrucks vergrößerte die Reichweite des schriftlichen Arguments erheblich und es entstand eine kritische Öffentlichkeit. Elektronische Medien erweitern die Kommunikationsmöglichkeiten nochmals enorm. Heute kann mit Andreas Hepp von einem gesellschaftlichen Stadium der “tiefgreifenden Mediatisierung” gesprochen werden.3
“Mediatisierung verweist auf eine Erfahrung, die jede:r aus dem Alltag kennt: Technologisch basierte Kommunikationsmedien durchdringen immer mehr gesellschaftliche Domänen, die sich gleichzeitig drastisch verändern.”4
“Die tiefgreifende Mediatisierung ist ein fortgeschrittenes Stadium dieses Prozesses, bei dem zunehmend alle Elemente unserer sozialen Welt eng mit digitalen Medien und den ihnen zugrunde liegenden Infrastrukturen verbunden sind.”5
Grundlegend ist dabei die Einsicht, dass die Welt in der wir leben, nicht ohne technische Medien und zugleich permanenter Datenproduktion und -auswertung verstanden werden kann. Diese tiefgreifende Mediatisierung betrifft alle Gesellschafts- und Lebensbereiche. Wir leben in einer Medien- und Datengesellschaft.
1. Neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit
Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit ist im Gange: An den Schnittflächen des Dreiecks entstehen Phänomene, die nur in Wechselwirkungen beschrieben werden können. Die Beziehung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit verschwimmt, es entstehen “hybride”, “fragmentierte” oder “persönliche” Öffentlichkeiten insbesondere in den Sozialen Medien.6, 7 Beobachtbar ist auch ein steigender Grad an “Inzivilität” in den Online-Diskussionen, also Beleidigungen, Hassreden, und zersetzende unsachliche Diskurse.8
Grafische Gestaltung, Ausschnitt “Medientechnologie” der Wechselwirkungen zwischen Mensch, Digitaltechnologie und sozialer Welt nach Gaspski (2021): I Team Digitale Lehre des ZfL der Universität zu Köln (https://zfl.uni-koeln.de/) I CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by- sa/4.0/)
2.1 Digitalisierung und Datafizierung
Der erste Trend ist die fortschreitende technische Digitalisierung, also die Umwandlung analoger Repräsentationen in diskrete Werte zur elektronischen Weiterverarbeitung. Daten, die zuvor auf Trägermedien analog gespeichert wurden, werden in digitaler Form “flüssig”: Sie sind damit leicht erzeugbar, speicherbar, übertragbar und prozessierbar. Datafizierung bezeichnet die permanente Erhebung und Speicherung von digitalen Daten über Prozesse mit dem Ziel der Analyse und Steuerung von sozialen Systemen.
Durch exponentielle Leistungssteigerungen der Hardware bleiben gigantische digitale Datenbestände im Zugriff und erzeugen ein sich ausdehnendes “Datenuniversum” oder eine “globale Datasphäre”, die sich nach Schätzungen von 33 Zettabyte im Jahr 2018 auf 175 Zettabyte im Jahr 2025 anwachsen wird.9
Wie viel ist ein Zettabyte?
Ein Zettabyte (ZB) sind 1021 Bytes. Würde man diese Datenmenge auf DVDs brennen und diese übereinanderstapeln, so hätte dieser Stapel die Höhe der 23-fachen Entfernung zwischen Erde und Mond.
Das Jahr 2002 kann als Beginn des digitalen Zeitalters bezeichnet werden. Seit diesem Zeitpunkt gibt es mehr digitale als analoge Daten. Heute machen analoge Daten nur noch einen winzigen Bruchteil des gesamten globalen Datenbestands aus.10
Datafizierung in der Schulbildung bezieht sich auf die Erfassung, Sammlung und Auswertung von Daten aus dem Unterricht über Lernsoftware, aus der Schulverwaltung oder auch aus dem Umfeld der Schüler*innen. Die Datafizierung in der Schule untersucht beispielsweise das Forschungsprojekt datafied.de.
SCHULE MACHT DATEN – ein fächerübergreifender Online-Kurs für Lehramtsstudierende und Lehrende der Sekundarstufe I & II. Die Teilnehmenden lernen u.a., Daten zu identifizieren, zu interpretieren, zu erstellen und Datenqualität grundlegend zu bewerten.
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2.2 Vernetzung und Interaktion
Der zweite treibende Trend ist die fortschreitende Vernetzung bzw. die vernetzte Interaktion. Durch das Internet und die Mobilkommunikation wird eine Vernetzung der gesellschaftlichen Kommunikation neuen Ausmaßes erreicht. Alle Knoten im Netz können sowohl Sender als auch Empfänger sein. Es entstehen neue Teilöffentlichkeiten in Social Media mit neuen Anforderungen an das individuelle Datenmanagement über das sich Identitäten und Beziehungen im digitalen Raum herausbilden. Dabei sind es nicht nur Menschen, die zu Sendern werden. Jedes Objekt des Alltags mit einem Sensor und einer digitalen Datenschnittstelle kann zum Knoten im Internet der Dinge und zum Datenerzeuger werden.
SENSORENJAGD – ein Quiz mit der App Actionbound: “Was sind Sensoren und wo findet man sie im Alltag? Angefangen beim Smartphone in der Hosentasche über das smarte Zuhause bis hin zur Überwachung im öffentlichen Raum – Spielende erforschen mit diesem Quiz die Sensoren in ihrem direkten Umfeld und erfahren, wo welche Daten erhoben und welche Rückschlüsse daraus gezogen werden können.”
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2.4 Automatisierung und Algorithmisierung
Der vierte Trend, Automatisierung und Algorithmisierung, beschreibt die verstärkt genutzte maschinelle Bearbeitung von Daten, die durch Digitalisierung und Sensorisierung verfügbar und durch die Vernetzung ausgetauscht werden. Aktuelle Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz (KI, engl. Artificial Intelligence, AI) und des maschinellen Lernens (Machine Learning, ML) erschließen neue Anwendungsfelder für die Bearbeitung von Daten, wie beispielsweise automatisierte Bilderkennung oder sprachliche Übersetzung.
Algorithmen beispielsweise analysieren riesige Mengen menschlicher Verhaltensdaten aus verschiedenen Quellen anhand definierter Kriterien und wählen dann sozial relevante Informationen aus. Sie lenken beispielsweise Social Media Datenströme oder treffen datenbasierte Vorhersagen mithilfe statistischer Verfahren (Predictive Analytics). Dazu priorisieren, filtern oder klassifizieren sie Daten und können neue “datengetriebene” Einsichten eröffnen, die jenseits bisheriger, menschlicher Erkenntnismöglichkeiten liegen.
- Algorithmus – Eine wohl definierte Rechenvorschrift, die bestimmte Eingabegrößen in Ausgabegrößen umwandelt und zur Lösung von mathematischen Problemstellungen dient. Alle in einem Computerprogramm ablaufenden Prozesse basieren auf Algorithmen.
- Künstliche Intelligenz – Forschungsfeld in der Informatik und technologisches Anwendungsfeld zur Automatisierung als intelligent angesehenen Verhaltens im Sinne einer selbstständigen und effizienten Problemlösung durch Maschinen.
THE ELEMENTS OF AI – eine Reihe kostenloser Onlinekurse über Künstliche Intelligenz: Was ist KI? Was kann KI – und was kann sie nicht? Wie werden KI-Methoden entwickelt?
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SCHULE MACHT KI – Das kostenlose Online-Seminar auf KI-Campus richtet sich an Lehramtsstudierende und Lehrkräfte mit dem Ziel, das Thema KI anschließend in den Sekundarstufen I und II unterrichten zu können.
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MENSCH, MASCHINE! WER ZEIGT HIER WEM DEN WEG? – Das Unterrichtsmaterial richtet sich an Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren und behandelt – ausgehend vom Brett- und Simulationsspiel “Mensch, Maschine!” – das Thema KI und Maschinelles Lernen. Es besteht aus sechs Modulen, die nach einer kurzen Einführung direkt mit Arbeitsblättern oder Arbeitsaufträgen starten.
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Durch das Zusammenwirken der oben genannten vier Trends – Digitalisierung, Vernetzung, Sensorisierung und Algorithmisierung – entstehen datafizierte Umwelten, die unseren Alltag zunehmend prägen. Wir leben in einer Big Data Welt. Aber was genau ist Big Data? – Dazu mehr im nächsten Kapitel.
Quellen
1Vgl. dazu ausführlicher Gapski H. (2021). Diskussionsfelder der Medienpädagogik: Datafizierte Lebenswelten und Datenschutz. In U. Sander, F. von Gross, K.-U. Hugger (Hrsg.), Handbuch Medienpädagogik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978–3‑658–25090-4_82‑1.
2 Vgl. Gapski H. (2020). Digitale Transformation: Datafizierung und Algorithmisierung von Lebens- und Arbeitswelten. In N. Kutscher, T. Ley, U. Seelmeyer, F. Siller, A. Tillmann und I. Zorn (Hrsg): Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung. Beltz Juventa: Weinheim Basel. S. 156–166.
3 Vgl. Hepp, A. (2021). Auf dem Weg zur digitalen Gesellschaft. Über die tiefgreifende Mediatisierung der sozialen Welt. Köln: Halem.
4 Hepp, A., 2021, S. 20.
5 Hepp, A., 2021, S. 22-23.
6 Vgl. dazu etwa Schmidt, J.-H. (2012). Persönliche Öffentlichkeiten und informationelle Selbstbestimmung im Social Web. In J.-H. Schmidt & T. Weichert (Hrsg.), Datenschutz (S. 215–225). Bonn: bpb.
7 Vgl. Jarren, O. & Klinger, U. (2017, 09. Oktober). Öffentlichkeit und Medien im digitalen Zeitalter: zwischen Differenzierung und Neu-Institutionalisierung. bpb. https://www.bpb.de/medien/257952/1_1_Jarren_Oeffentlichkeit_und_Medien_ba.pdf.
8 Vgl. dazu Kümpel, A. S. & Rieger, D. (2019). Wandel der Sprach- und Debattenkultur in sozialen Online-Medien: Ein Literaturüberblick zu Ursachen und Wirkungen von inziviler Kommunikation. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung.
9 Vgl. Reinsel, D., Gantz, J., Rydning, J. (2018, November). The Digitization of the World – From Edge to Core. ICD White Paper – #US44413318. IDC. https://www.seagate.com/files/www-content/our-story/trends/files/idc-seagate-dataage-whitepaper.pdf.
10 Vgl. Hilbert, M. & López, P. (2011). The World’s Technological Capacity to Store, Communicate, and Compute Information. Science, 332(6025), 60–65. https://doi.org/10.1126/science.1200970.
11 Vgl. Evans, D. (2011, April). Das Internet der Dinge. So verändert die nächste Dimension des Internet die Welt. Whitepaper. Cisco Internet Business Solutions Group. http://www.cisco.com/web/DE/assets/executives/pdf/Internet_of_Things_IoT_IBSG_0411FINAL.pdf.
12 Vgl. Reinsel, Gantz, Rydning, 2018, S. 13.