Sexuelle Entwicklung
Um weitere Besonderheiten der Sexualität von Menschen mit geistiger Behinderung herauszustellen, sollte die sexuelle Entwicklung betrachtet werden.
Im Allgemeinen unterscheidet sich die Sexualität von Menschen mit geistiger Behinderung nicht wesentlich von der Sexualität von Menschen ohne Behinderung.1 Allerdings gibt es neben den bereits genannten Schwierigkeiten auch einige Aspekte bei der sexuellen Entwicklung, durch die sich Menschen mit geistiger Behinderung abheben können.2 Um diese darzustellen, muss vorerst ein Überblick über die übliche sexuelle Entwicklung gegeben werden.
Die sexuelle Entwicklung jedes Menschen ist sehr individuell und kann unterschiedlich verlaufen.3 Die folgenden Altersangaben und Entwicklungsschritte sind demnach als Orientierungswerte zu verstehen und stellen einen möglichen (!) Entwicklungsverlauf dar:
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Welche Besonderheiten können nun bei Menschen mit geistiger Behinderung bei der sexuellen Entwicklung auftreten?
Es wird davon ausgegangen, dass die körperliche Sexualentwicklung altersgemäß, wie dargestellt, verläuft.4 Die intellektuelle Entwicklung ist bei Menschen mit geistiger Behinderung jedoch, wie beschrieben, häufig eingeschränkt.5 Dadurch kann eine große Differenz zwischen dem sogenannten “Intelligenzalter” und dem “Sexualalter” entstehen.6 Folgende mögliche Probleme und Auffälligkeiten können infolgedessen auftreten:
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- Phasen der sexuellen Entwicklung aus dem Kindesalter können deutlich länger oder sogar lebenslang fortbestehen, sodass damit verbundene Aktivitäten auch noch im Jugend- oder Erwachsenenalter gezeigt werden (z.B. Spielen mit Ausscheidungen (anale Phase) oder Berührungen des eignen Körpers (phallische Phase))7
- Eine verzögerte Entwicklung des Schamgefühls kann stattfinden, sodass benannte Aktivitäten häufiger ohne Beachtung des Raums und der Zeit durchgeführt werden (z.B. Masturbation an unerwünschten Orten)8
- Eine Überforderung beziehungsweise Verwirrung durch die körperliche Veränderung in der Pubertät kann Folge sein (z.B. Überraschung durch erste Menstruation)9
- Eine gestörte Eltern-Kind-Beziehung und negative Folgen auf die psychosexuelle Entwicklung können hervortreten, da Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung häufiger aufgrund ihrer Beeinträchtigung Ablehnung oder Überbehütung erfahren (dadurch z.B. Schwierigkeiten bei dem Aufbau des Urvertrauens, der Selbstwahrnehmung oder der Erfüllung der Entwicklungsaufgaben in der Pubertät wie bspw. Ablösung von Bezugspersonen)10
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Literatur
1 vgl. Klamp-Gretschel, Karoline (2019): Sexualität im Leben von Menschen mit geistiger Behinderung. In H. Schäfer (Hrsg.): Handbuch Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Weinheim/Basel: Beltz. S. 674
2 vgl. Specht, Ralf (2013): Sexualität. In R.-B. Schmidt & U. Sielert (Hrsg.): Handbuch Sexualpädagogik und sexuelle Bildung. 2. Auflage. Weinheim: Beltz Juventa. S. 290
3 vgl. Hierholzer, Stefan (2021): Basiswissen Sexualpädagogik. München: Ernst Reinhardt Verlag. S. 19
4 vgl. Specht, Ralf (2013): Sexualität. In R.-B. Schmidt & U. Sielert (Hrsg.): Handbuch Sexualpädagogik und sexuelle Bildung. 2 Auflage. Weinheim: Beltz Juventa. S. 291
5 vgl. ebd.
6 Ortland, Barbara (2020): Behinderung und Sexualität. Grundlagen einer behinderungsspezifischen Sexualpädagogik. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Kohlhammer Verlag. S. 139
7 vgl. ebd., S. 139
8 vgl. ebd.
9 vgl. ebd., S. 140
10 vgl. ebd., S. 1
- Hinweise
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Die dargelegten Probleme stellen nur mögliche Szenarien dar und sind nicht nur der Intelligenzminderung geschuldet. Viele dieser Probleme resultieren auch aus dem beschriebenen Verhalten der Bezugspersonen und einer unzureichenden Aufklärung.