Grundlagen digitaler Bildung
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Digitalisierung und Digitalität in der Schule
Der öffentliche Bildungsdiskurs wird seit mehreren Jahren stark durch das Thema Digitalisierung in der (Hoch-)Schule beeinflusst; zudem ist „das Thema Lernen in digitalen Umgebungen […] zu einem zentralen Thema der Pädagogik geworden, um den Unterricht besonders unter dem Paradigma der Digitalität zu betrachten“ (Vogler, S. 8). Doch Digitalisierung und Digitalität — was bedeutet das eigentlich?
Felix Stalder (2021), Professor für Digitale Kultur an der Zürcher Hochschule der Künste, unterscheidet zwischen Digitalisierung im engeren und weiteren Sinne:
„Digitalisierung ist, im ganzen engen Sinn, der Prozess der Überführung eines analogen Mediums in ein digitales. Man legt ein Buch auf den Scanner und hat nachher ein elektronisches ‘Buch'” (S. 3). Digitalisierung in einem erweiterten Sinn bezieht sich auf die „Veränderung von Prozessen, die mit diesen Medien organisiert werden. Dinge, die vorher mit analogen Medien organisiert wurden, werden nachher mit digitalen Medien organisiert. Aus dieser Perspektive ist Digitalisierung ähnlich wie Alphabetisierung“ (S. 4).
Damit verändert Digitalisierung nach Stalder (2021) unsere Gesellschaft. Veränderungsprozesse sind in Analogie zum Buchdruck und zur Skriptographie zu beobachten:
„Aus dieser Perspektive ist Digitalisierung ähnlich wie Alphabetisierung. Auch diese kann man in einem engen Sinne verstehen, dass Menschen individuell Lesen und Schreibenlernen, und in einem weiten, dass die Gesellschaft als Ganzes sich verändert, weil Prozesse nun auf Basis von Schriftlichkeit und eben nicht Mündlichkeit organisiert werden. Digitalisierung ist ein ähnlicher Prozess, wo die Grundlagen gelegt werden, um neue Handlungsabläufe, aber auch neue Wahrnehmungsformen und neue Denkstrukturen zu entwickeln.“ (S. 4)
„Die Digitalität […] ist das, was entsteht, wenn der Prozess der Digitalisierung eine gewisse Tiefe und eine gewisse Breite erreicht hat und damit ein neuer Möglichkeitsraum entsteht, der geprägt ist durch digitale Medien.“ (Stalder, 2021, S. 4).
Dabei kann Stalder (2021) zufolge auch die Analogie zur Schriftkultur wieder aufgegriffen werden, denn „Digitalität verhält sich Digitalisierung wie die Buchkultur zur Alphabetisierung“ (S. 4). Durch neue Kulturtechniken werden neue Möglichkeitsräume eröffnet, die wiederum unsere Gesellschaft verändern. Stalder (2018) spricht deshalb davon, dass wir in einer “Kultur der Digitalität” leben, wenngleich diese auch stark von Widersprüchen und ständigen Veränderungen geprägt ist, da diese Kultur sich “in einem Raum zwischen Zufall und Notwendigkeit entfaltet” (Dobusch, 2016).
Was Digitalisierung ist, reflektiert auch der Lehrer, Blogger & Autor Bob Blume in seinem Blog im Artikel „Digital: Was ist Digitalisierung?” aus dem Jahr 2019. Auch er verweist hier auf Stalders Werk „Kultur der Digitalität“, welches die gesamtgesellschaftliche Relevanz von Digitalisierung – und damit auch ihre Rolle in Bildungskontexten – in den Blick nimmt und die drei Aspekte Referenzialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität als Hauptcharakteristika einer “Kultur der Digitalität” herausstellt (vgl. Stalder, o.D.).
Referenzialität
Referenzialität bezieht sich auf die eigene kulturelle Handlung, indem eine eigene Referenz zur Realität hergestellt wird:
„Referenzialität bedeutet, dass jeder heute damit beschäftigt ist, aus einer unglaublichen Vielfalt von verfügbaren Referenzen – also bereits gemachten kulturellen Äußerungen, wie z. B. Bildern, Videos, Texten und so weiter – Dinge auszuwählen, und zu sagen, von diesen 100 Mio. Videos, die es gibt, ist mir jetzt gerade dieses eine wichtig.“ (Stalder, 2021, S. 5)
Das Teilen von Artikeln über Facebook, das Hochladen eines Fotos auf Instagram oder das Retweeten einer Studie bei Twitter – dies alles stellt die persönliche Sichtweise des Individuums auf die Welt dar.
Gemeinschaftlichkeit
Die Referenzialität wird durch das Agieren in sozialen Netzwerken unterstützt. Damit ist die Kultur der Digitalität auch von Gemeinschaftlichkeit geprägt. Indem wir beispielsweise einen Artikel bei Twitter teilen, öffnen wir unsere Sicht für die anderen, die wiederum interagieren können. Durch ein „like“ wird beispielsweise erstens die eigene Sicht auf die Dinge bestätigt.
“Zweitens erweitert sich der eigene Informationshorizont, weil man ja auch die Ergebnisse der Auswahl der anderen, mit denen man verbunden ist, sieht. So entsteht ein geteilter Horizont, eine Weltsicht, die von einer mal größeren, mal kleineren Gruppe von Menschen geteilt wird. Drittens entsteht dadurch ein eigenes Profil, eine Identität, denn in sozialen Netzwerken ist man die Person, die man kommuniziert, und wenn man aufhört zu kommunizieren, dann verschwindet man, wird unsichtbar” (Stalder, 2018).
Algorithmizität
Die Auswahl der Informationen über die Gemeinschaft und die eigene Referenz reicht jedoch noch nicht aus. Um die “Informationsflut” der Digitalisierung (scheinbar) zu beherrschen, werden Algorithmen benötigt.
Algorithmen sind maschinelle Prozesse, die aufgrund von Datenmengen Muster erkennen und entsprechend dieser dem Nutzer/ der Nutzerin eine Auswahl der Informationen präsentieren: „Hat jemand ein Katzenbild gut gefunden, dann wird ihm oder ihr ein elftes Katzenbild gezeigt, in der Erwartung, dass das wieder gefallen wird.“ (Stalder 2021, S. 6). Dabei entwickeln sich Algorithmen durch menschliches Verhalten weiter: „Das Like, das die Person, dann unter dieses Bild setzt, ist eine human-kognitive Bestätigung dieser [maschinellen] Auswahl, die auch als Feedback für die stete Anpassung dieses Algorithmus genutzt wird.“ (Stalder 2021, S. 6). Algorithmen sind somit notwendig, um die Informations- und Datenmenge der Digitalisierung für menschliche Wahrnehmung zugänglich zu machen.
Neben dem Erkennen der gesamtgesellschaftlichen (und somit Zukunfts-) Relevanz von Digitalisierung ist es jedoch ebenso wichtig, sich der unspezifischen Verwendung des Begriffs „Digitalisierung“ bewusst zu werden: So
„…muss man feststellen, dass viele den Begriff Digitalisierung so vage verwenden, dass er alles und nichts sein kann. Für manche ist Digitalisierung schlicht die Nutzung von Tablets, für andere Social-Media-Kommunikation, für wieder andere künstliche Intelligenz. […] Das Problem daran, dass der Begriff so schwammig ist (oder verwendet wird), ist, dass dies in einer Zeit passiert, in der der Digitalpakt bald Milliarden zur Verfügung stellt. Die Schulen werden reagieren. Wie sie das tun, hängt oftmals stark an der Perspektive, die sie gegenüber diesem schwammigen Wort einnehmen.“ (Blume, 2019).
Bis dato orientiert sich das Bildungssystem an den Normen- und Wertevorstellungen des 20. Jahrhunderts; damit bereitet es Schüler*innen für die Aufgaben der Vergangenheit, nicht aber auf eine sich zunehmend verändernde Gesellschaft und ihre Herausforderungen vor.
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Literaturverzeichnis
Blume, B. (2019). DIGITAL: Was ist Digitalisierung? Abgerufen am 17.08.2021: https://bobblume.de/2019/03/22/digital-was-ist-digitalisierung/.
Dobusch, L. (2016). Rezension: “Kultur der Digitalität” von Felix Stalder. Abgerufen am 17.08.2021: https://netzpolitik.org/2016/rezension-kultur-der-digitalitaet-von-felix-stalder/.
Stalder, F. (o. D.). Grundformen der Digitalität. Abgerufen am 17.08.2021: https://agora42.de/grundformen-der-digitalitaet-felix-stalder/.
Stalder, F. (2018). Herausforderungen der Digitalität jenseits der Technologie. Abgerufen am 17.08.2021: https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/blog/herausforderungen-der-digitalitaet-jenseits-der-technologie-felix-stalder.
Hauck-Thum, U. & Noller, J. (Hg.) (2021). Was ist Digitalität. Philosophische und pädagogische Perspektiven. Berlin: J. B. Metzler.
Stalder, F. (2021). Was ist Digitalität? In U. Hauck-Thum & J. Nöller (Hg.), Was ist Digitalität. Philosophische und pädagogische Perspektiven (S. 3- 9). Berlin: J. B. Metzler.
Vogler, H.-J. (2021). Der hybride pädagogische Raum. Bielefeld: transcript Verlag.